Bornholm
Die Insel der Glaskünstler

Land: Dänemark

Gudhjem, 9. September 2010 (vdk) Nirgendwo in Dänemark gibt es mehr Kunsthandwerker pro Quadratkilometer als auf Bornholm. Bereits 6.000 Jahre alt sind die ältesten Tonscherben, die auf die Keramiktradition der dänischen Ostseeinsel verweisen. Weniger berühmt als die Bornholmer Töpfer, aber international inzwischen genauso erfolgreich, ist Bornholms Riege renommierter Glaskünstler. Unter ihnen ragt besonders ein Ehepaar heraus: Maibritt Jönsson und Pete Hunner von Baltic Sea Glass.

Glühend rot hängt der Klumpen, klebrigem Honig gleich, am Ende eines langen eisernen Rohrs, unförmig, schwer und keineswegs so filigran wie die Ausstellungsstücke von „Baltic Sea Glass“. Vor einem Halbkreis von Zuschauern setzt Pete Hunner die schlanke Stange an die Lippen. Zum Crescendo klassischer Musik bläst er hinein, schaut kurz auf, und kreist und schleudert dann das Rohr durch den dunklen Raum. Wie von magischer Hand verwandelt sich der feurige Klumpen in ein kunstvoll geschwungenes Kunstwerk, entsteht aus dem 1.300 Grad heißen Mix aus Sand, Soda, Kalk und Pottasche jenes „Studioglas“, dessen Schlieren, Blasen und andere Einschlüsse Liebhaber so schätzen.

Bornholms Natur, eingefangen in Glas

„Die Natur liefert uns die Vorbilder für unsere Kreationen“, sagt seine Partnerin Maibritt Friis Jönsson, die das Blasrohr aus Petes Hand entgegen nimmt, erneut im Ofen erwärmt, die Augen schließt und mit ihrem Atem, dem Blasrohr und ihren weiten Bewegungen dem Glas Gestalt gibt – ein Tanz in perfekter Harmonie, scheinbar schwerelos – und doch so anstrengend, das auch sie nach einigen Minuten das Glas wieder an Pete zurück reicht.

„Glas ist ein fließendes, lebendiges Element, wandelbar wie die Welt der Ostsee, auf die wir durch unsere Fenster blicken, die Wolken am Himmel oder das Wechselspiel des Lichts. Wir tanzen mit dem Licht, bis wir die Farben und Formen der Natur so eingefangen haben, wie wir sie erleben. Erst ganz am Ende gestatten wir unseren Objekten, sich zu formen und eine feste Gestalt anzunehmen“, erklärt das Künstlerpaar seine kreative Arbeit.

Kristalline Metamorphosen

Die Maiskolben in ihrem Gemüsegarten inspirierten Maibritt zu sanft geschwungenen Schalen, am Boden gefundene Federn zu den fließenden Farbenverläufen ihrer Vasen. Dann wieder sind ein Bienenkorb, ein Hornissennest oder winterliche Schneeflocken Vorbild für Strukturen, die im Licht und Schattenspiel ihrer Glaskunst Eingang finden.

Pete, der US-Amerikaner aus Kansas, und Maibritt aus dem dänischen Lyngby, haben sich beim Studium an der Skolen for Brugskunst in Kopenhagen kennen gelernt. Gemeinsam gingen sie nach Bornholm, wagten in Louisenlund die ersten Anfänge, hatten Erfolg – und expandierten. Während andere Glaskünstler ab 1977 einstige Heringsräuchereien in „Glaspuster“-Studios verwandelten, erwarben sie einen lang gestreckten Hühnerstall an der Küstenstraße von Gudhjem nach Svaneke und richteten dort ihre Werkstatt samt Showroom ein.

Heute ist das Duo, seit langem auch privat ein Paar, international so erfolgreich, dass sie nur noch bei den allsommerlichen „Unikate-Abenden“ selbst am Ofen stehen. Für die kommerzielle Produktion wurden zwei Glasbläser fest angestellt. Sämtliche Entwürfe stammen dabei jedoch weiterhin aus ihrer Feder.

Die mit internationalen Preisen bedachten Kreationen von Baltic Sea Glass haben inzwischen auch Eingang in die Museen gefunden. Hunners und Jönssons Werke sind im Kunstindustrimuseum von Kopenhagen ebenso ausgestellt wie in den Glasmuseen von Växjö/Schweden, Riihimäki/Finnland, Monterey/Mexiko und Ebeltoft/Dänemark und im Berliner Kunstgewerbemuseum.

Zu den begeisterten privaten Sammlern ihrer Schalen, Vasen und Gläser gehörte auch die frühere Königinmutter Ingrid von Dänemark. Ihre Tochter, Königin Margrethe II., weihte vor wenigen Jahren auf Bornholm in der Apsis der Kirche von Gudhjem neue Kirchenfenster ein – gefertigt von Baltic Sea Glass. Für sie walzte Pete Hunner mehrere mundgeblasene Glaszylinder zu Platten aus und setzte sie als Mosaik neu zusammen – in warmen Erdtönen von Gelb bis Braun und fein differenzierten Oberflächenstrukturen, die das Licht auf immer neue Weise brechen.

Skandinavisches Design, afrikanische Seele

Am Glastorvet von Svaneke bringt Pernille Bülow eine im Holzmodel geblasene Vase mit nassen Zeitungen, Eisenzangen und pulverisierter Holzkohle in Form. Obgleich sie heute Chefin einer 25 Mitarbeiter großen Unternehmensgruppe ist, die neben ihrer eigenen Glaskollektion als Fair-Trade-Partner von einer Gruppe allein erziehender ghanesischer Frauen auch Lifestyle-Schmuck aus recyceltem Altglas sowie afrikanische Batik fertigt und vertreibt, hat sie das Handwerk nie ganz losgelassen. „Ich bin noch immer vom Kontrast zwischen den warmen, weichen und gleichzeitig harten Eigenschaften des Glases fasziniert“, erzählt die Kunsthandwerkerin.

Seit 2009 können ihre Besucher nicht nur bei der Produktion zuschauen, sondern auch selbst mit Glas arbeiten: im „Pusterummet“ – gleich gegenüber von Pernille Bülows Werkstatt. Tiefere Einblicke in die Konzepte hinter ihrer Formgebung vermittelt das Erlebniswochenende „Den Designede Sanse-weekend" das Pernille Bülow in Kooperation mit dem Hotel Siemsens Gård in Svaneke anbietet.

Zwei norwegische Frauen, die Jahre lang in der Werkstatt von Pernille Bülow gearbeitet haben, sind heute selbst erfolgreiche Glaskünstlerinnen auf Bornholm: Evelyn Sivertsen und Ninette Elllingsen. Sivertsen hatte ihr Handwerk an der renommierten Glasschule von Orrefors im småländischen Glasriket ihr Handwerk gelernt, Ninette Ellingsen war im Jahr 2000 nach Bornholm gekommen und hatte als junge Gesellin bei Pernille Bülow eine Anstellung gefunden. Gemeinsam wagten die sie den Sprung in die Selbstständigkeit und gründeten in einem 200 Jahre alten Bauernhof bei Nexø ihr Glasværk – eine elegant-stilvolle Kombination aus Galerie und Werkstatt hinter rustikalem Fachwerk.

Eliteschule für Glasdesign

Ninette Ellingsen ist Absolventin der Bornholmer „Glas og Keramikskole“. Wer die schweren Zugangsprüfungen geschafft hat, findet an der internationalen Kunsthochschule in Nexø traumhafte Ausbildungsmöglichkeiten vor: nur zwölf Studierende pro Klasse und Werkstätten, die traditionell und mit High-Tech in sämtlichen plastischen Gestaltungstechniken ausbilden.

Wie gefahrvoll der faszinierende Werkstoff Glas ist, erlebte ein anderer Absolvent der Eliteschule für Glasdesign: „Ich versengte mir Augenbrauen und Stirnhaare und lernte Respekt vor dem heißen Werkzeug, als ich Anfang der 1990er Jahre Charlie Meaker in der damaligen Glashütte Snogebæk zur Hand ging”, erzählt Svend Holst-Pedersen, der sich erst im reifen Alter jenseits der 40 mit der Glasstøberi im Bahnhof von Rø seine Existenz als Kunsthandwerker aufbaute.

Dort bläst er jedoch nicht das fast flüssige Glas, sondern gießt es in eine Sandform, dekoriert es mit Metallen oder Farben und poliert nach dem Erkalten nur einen Teil der Oberfläche. Wie reizvoll der Kontrast zwischen rauen und glatten Flächen sein kann, zeigen seine Masken: Blank leuchten Augen und Mund.

Glaskunst für den Hausgebrauch

Pernille Bastrup kam bereits auf Kindesbeinen mit der Bornholmer Glaskunst in Kontakt. Ihre Mutter arbeitete in der Glashütte Gudhjem bei Mogens Dam, der das Glas nach Bornholm gebracht hatte – zunächst mit der Glashütte Snogebæk 1977, später mit der Gudhjem Glasrøgeri. 1988 pachtete Pernille Bastrup die Glashütte, 1993 übernahm sie das Unternehmen vollständig. Teure Glaskunst für Gutbetuchte ist nicht ihr Anspruch.

„Ich mache Gebrauchsgegenstände und möchte, dass Leute unsere Produkte in die Hand nehmen und sie gebrauchen, statt sie als Staubsammler ins Regal zu stellen“, sagt sie. Das Sortiment ist dementsprechend umfangreich: Kerzenleuchter und Karaffen, Vasen, Trinkgläser, Teelichtleuchten, Öllampen und sogar Weihnachtsengel – viele Klassiker und einige neue Ideen, die Pernille Bastrup ‚sich ausdenkt’, während sie schläft. „Ich zeichne nie, sondern gehe an die Werkbank und probiere es aus. Am liebsten gestalte ich in der Praxis.“

Else Leth-Nissen ist die Einsiedlerin unter den Bornholmer Glaskünstlern. Ihr Glasstudio umgibt ein großer Garten am Rande des Almindingen, des ausgedehnten Waldes im Inselinnern. So gerne die Künstlerin auch ihre Besucher in ihrem Verkaufsraum „Den Blå Hytte“ empfängt – ihre Werkstatt ist „Sperrgebiet“. In höchster Konzentration arbeitet sie dort allein, baut die Glasplatten als Grundmaterial für ihre Schüsseln und Schalen auf, oder gestaltet ihr Glas in der schwierigen, zeitaufwendigen Graltechnik, bei der in mehreren Etappen geformt, geschmolzen und geblasen wird – und das mit zwei Pfeifen gleichzeitig.

Kunsthandwerk in Bewegung

Immer in Bewegung die Glaskunst von Mai Ørsted. Als Ohrring oder Halskette schwingt filigran per Laser ausgesägtes Glas am Körper, am Kronleuchter spielt Halogenlicht mit den Reflektionen des Kristalls, und auf dem Tisch stehen Vasen, Schüsseln und Schalen dank abgerundeter Flächen nie ganz still – so, wie auch ihr Leben seit 1970 immer in Bewegung war: 1970 in Kopenhagen geboren, ging sie zur Ausbildung nach Schweden, England, Schottland und die USA, ehe sie als Industriedesignerin ihre erste Anstellung bei Edinburgh Crystal annahm – und dort ein Stipendium erhielt, dass zum Sprungbrett für eine eigene Karriere wurde: Mai Ørsted wurde „Artist in Residence“ an der schottische Kaderschmiede für Glaskünstler, Northland Creativ Glass.

Sie nutzte die Zeit zur Entwicklung ihrer ersten eigenen Kollektion. Und war mit den Ergebnissen sogleich erfolgreich: Ihre Schmuckkollektion in Glas wurde 2008 in die Crafts Collection aufgenommen,, die alljährlich Highlights des dänischen Kunsthandwerks präsentiert, ihre Leuchter an der Möbelmesse ICFF in New York ausgestellt.

In ihrer Wahlheimat Bornholm leitet die umtriebige Kunsthandwerkerin ein Ausstellungs- und Kulturzentrum, das von Ende März bis Anfang November täglich von 10 bis 17 Uhr die gesamte Bandbreite und Vielfalt des Kunsthandwerks von Bornholm zeigt: Grønbechs Gård.

Die Galerie im alten Kaufmannshof im Herzen von Hasle gewährt in Zusammenarbeit mit der 2001 gegründeten Arts & Crafts Association Bornholm (ACAB) nicht nur Einblicke in das Schaffen von 56 namhaften Bornholmer Kunsthandwerkern, sondern präsentiert auch mit einem Dutzend Wechselausstellungen pro Jahr junge Talente und internationale Stars. Wer keine Gelegenheit findet, die Werkstätten der Bornholmer Glaskünstler vor Ort zu besichtigen, kann im Erdgeschoss die kleine Glasbläserei mit offener Werkstatt besuchen – und im angeschlossenen Laden authentisches Bornholmer Design erwerben.

Text: Hilke Maunder

Schlagwörter: Bornholm Insel Glaskünstler